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Tags statt nachts: Zufriedenes Personal dank Produktionsverlagerung in der Backstube

So schön die Arbeit als Bäcker oder Bäckerin sein kann, sie hat auch große Nachteile: Regelmäßige Arbeit in der Nacht, am Wochenende und sogar an Feiertagen. Das lässt sich oft nur schwer mit dem Familienleben und anderen privaten Interessen verbinden. Aber immer mehr Bäckereien zeigen, dass Alternativen möglich sind – und profitieren dadurch auch bei Personalsuche und -bindung.
Veröffentlicht am 01.08.2022
Tags statt nachts: Zufriedenes Personal dank Produktionsverlagerung in der Backstube

Arbeitsbeginn um Mitternacht, Teige kneten und formen bis 4 Uhr, dann Kleingebäck aufarbeiten und schließlich Vorbereitungen für den nächsten Arbeitstag, Putzen und aufräumen. Feierabend: morgens um 9 oder 10 Uhr, wenn andere Menschen gerade an ihr zweites Frühstück denken oder überlegen, wo sie Mittagspause machen – Alltag für Bäcker und Bäckerinnen. Und weil die Kundschaft auch am Wochenende und an Feiertagen Frühstücksbrötchen und ein leckeres Stück Kuchen will, sind sieben Produktionstage für die allermeisten Betriebe und ihre Belegschaften Normalität.

Das ist – gute? – Tradition in Backstuben, aber für immer mehr Menschen äußerst unattraktiv. Gerade der Nachwuchs legt Wert auf gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Ständige Nachtarbeit verträgt sich aber kaum bis gar nicht mit dem Leben, das die Partner führen, mit Kindererziehung oder Pflege alter Menschen, mit Fußball oder Schützenverein oder einem netten Abend beim Bier oder im Kino mit Freunden. Und da überall Personal knapp ist und um Nachwuchs wie Fachkräfte hart gerungen wird, kann das beim Recruiting für Bäckereien zum echten Nachteil werden. Eine mögliche Lösung ist die Einführung von Tagschichten in der Produktion.

Wenn tagsüber gebacken wird, sind die Produkte pünktlich zum Ladenschluss fertig – ein Paradox? Nein, finden immer mehr Bäckereien. Ein Beispiel ist Fickenschers Backhaus in Münchberg bei Bayreuth. Hier arbeiten rund 100 Menschen an neun Standorten. Chef Andreas Fickenscher führt das Unternehmen in der elften Generation und hat schon 2016 eine Tagschicht eingeführt. Seither habe er „kein Personalproblem“, sagte er im Februar der ABZ, konnte alle Ausbildungsplätze besetzen und die Quote sogar erhöhen. Welche Bäckerei kann das von sich behaupten?

Fickenschers Backhaus ist längst nicht mehr alleine mit diesem Schritt. Die Bäckerei Peter Schmitt in Bad Kissingen etwa bietet eine Vollzeit-Tagschicht im flexiblen Zeitfenster zwischen 4 und 16 Uhr an. Die Bäckerei Steinleitner im Landkreis Straubing-Bogen hat ihre Produktion zu Jahresbeginn um eine Tagschicht erweitert mit Arbeitsbeginn um 5 Uhr. Nachts arbeiten nur noch Freiwillige. Brotteige reifen nun länger als früher, so gelingt trotz Tagarbeit die Synchronisation von Produktion und Verkauf. Außerdem helfen der Einsatz von Kühltechnik und digital gesteuerten Maschinen. Auch bei Fickenscher wird nachts nur noch das Nötigste gemacht, etwa 20 Prozent der Belegschaft arbeitet klassisch in der Nachtschicht.

Die Bäckerei Zimmer in der Eifel löst erfolgreich einen anderen Aspekt neuer Produktionszeiten. Hier ist Sonntags und Montags geschlossen – das Unternehmen propagiert offensiv, dass auch Backwaren vom Vortag noch frisch und schmackhaft sind. Wenn sie auf hohem handwerklichem Niveau hergestellt wurden, natürlich. Die Bäckerei wurde mit diesem Konzept bei der Kunden-Abstimmung des Magazins Falstaff sogar zur beliebtesten in NRW gewählt und hat sich gegen sehr viel größere und bekanntere Betriebe durchgesetzt. Patrick Zimmer, der auch Brotsommelier ist und an der Akademie in Weinheim unterrichtet, bekommt bei Brotprüfungen sogar für vier Tage alte Laibe Lob und das Prädikat „sehr gut“. Das erreicht er durch besondere Rezepturen und Teigführung von bis zu 48 Stunden, wie er der ABZ berichtete.

Die genannten Beispiele zeigen: Auch die lange Tradition der nächtlichen Arbeitszeiten in Bäckereien ist nicht unumstößlich. Die Vorteile im Personalmarketing liegen auf der Hand. Wer über diesen Schritt nachdenkt, muss unbedingt auch über Produktionsprozesse, Maschinenausstattung und Geschäftsstrategie nachdenken, um erfolgreich zu sein. Zwei Bäckereien aus Bonn und Rosenheim haben sich sogar dafür entscheiden, auf Filialen zu verzichten und in Bonn sogar auch auf die Herstellung von Kleingebäck – so wird hier der Verzicht auf Nachtarbeit möglich. Ebenfalls wieder in Verbindung mit langer Teigführung.  Daneben gilt beispielsweise auch zu beachten, dass bei einer Umstellung auf Tagproduktion die Nachtarbeitszuschläge wegfallen. Andreas Fickenscher hat das durch Erhöhung der Nettolöhne ausgeglichen, denn die meisten Beschäftigten wollen sicher lieber tags als nachts arbeiten, aber können keine Lohneinbußen hinnehmen. Die Belegschaft sollte bei einer Umstellung frühzeitig in die Planung einbezogen statt vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Neben Kühltechnologie können Teigreifekammern und moderne Öfen bei einer Umstellung eine Rolle spielen. Und natürlich sollte bei Einführung der Tagproduktion bedacht werden, dass eine Wirksamkeit auf die Personalsuche nur eintritt, wenn offensiv kommuniziert wird. Noch ist dieser Schritt so selten, dass sich auch bei den lokalen Medien dafür Interesse wecken lassen dürfte – dann kommt die Maßnahme nicht nur der Personalsuche zugute, sondern wird auch allgemein werbewirksam.